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Der Völklinger Kreis e. V. und Wirtschaftsweiber e. V. im Interview
Auf Pride-Veranstaltungen und Karrieremessen sind große Konzerne bereits seit einiger Zeit anzutreffen, doch auch kleine Unternehmen beschäftigen sich mehr und mehr mit den Themen Diversität und Chancengleichheit. Im Interview mit dem Völklinger Kreis e. V. und Wirtschaftsweiber e. V. haben wir nachgefragt, warum Diversität in der Arbeitswelt eine zunehmend größere Rolle spielen sollte und wie gerade Sie und Ihr Kleinunternehmen hier einiges bewirken können.
Zwei Vereine, eine Mission
Der Völklinger Kreis und die Wirtschaftsweiber bieten schwulen und lesbischen Selbstständigen sowie Fach- und Führungskräften aus allen Branchen und Altersgruppen ein sicheres Umfeld, in dem sie ihr Netzwerk erweitern, sich zu verschiedensten Themen weiterbilden und ihre Erfahrungen austauschen können. Darüber hinaus setzen sich die beiden Vereine für mehr Diversität und Chancengleichheit in der Arbeitswelt ein. „Zum Zeitpunkt der Vereinsgründung der Wirtschaftsweiber fehlte es an einem Austausch mit Gleichgesinnten, einem wirtschaftsorientierten Netzwerk und auch an Vorbildern“, so Patricia Schaller aus dem Bundesvorstand der Wirtschaftsweiber.
Besonders der regelmäßige Austausch ist für die Mitglieder wichtig, um durch Erfahrungen anderer über den Umgang mit kritischen Situationen am Arbeitsplatz zu lernen und so ein selbstbewussteres Auftreten zu entwickeln. Das gilt sowohl in persönlicher als auch in beruflicher Hinsicht, denn die Freiheiten von Mitgliedern der LGBTIQ+ Community in diesen beiden Umfeldern bedingen sich gegenseitig. Auf Arbeit mit gängigen Stigmata aufzuräumen und mehr Chancengleichheit zu schaffen begünstigt eine stärkere Akzeptanz im Privatleben und umgekehrt.
Dass es hier auch heutzutage noch Verbesserungsbedarf gibt, zeigt unter anderem die Studie „The L-Word in Business“, welche die Auswirkungen von Diskriminierung auf die Karriereentwicklung lesbischer Frauen zeigt. Die Wirtschaftsweiber haben sich maßgeblich an der Studie beteiligt und sprechen im Interview von einer doppelten gläsernen Decke, also einer doppelten Diskriminierung in Form von Sexismus und Homophobie, der lesbische Frauen am Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Deswegen organisiert der Verein u. a. Veranstaltungen und Workshops zum Thema Diversity Management und kooperiert regelmäßig mit dem Völklinger Kreis und anderen Institutionen und Initiativen bei Messen, Lesungen und Gesprächsrunden, um mehr Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken.
Die Unterhaltungen dazu müssen auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene noch häufiger angefacht werden und „dafür braucht es jemanden, der den Finger mal in die Wunde legt“, so Manfred Knüfken, Leiter der Fachgruppe Kleine Unternehmen im Völklinger Kreis. Die wachsenden Fach- und Regionalgruppen tragen mit ihren fachbezogenen Veranstaltungen zu relevanten Themen bereits maßgeblich zu mehr Sichtbarkeit bei.
Dass dies dringend notwendig war, zeigt allein schon der Vereinsname Völklinger Kreis: „Der Name hat keinen direkten Bezug zum Vereinswirken. In der Arbeitswelt offen über Homosexualität zu sprechen, war zur Zeit der Vereinsgründung noch schwer denkbar. Viele bauten sich vor der Kollegschaft ein falsches zweites Leben auf und brachten sogar Alibi-Ehefrauen zu Firmenfeiern“, führt Knüfken fort. Noch heute werden für große Teile der LGBTIQ+ Community kleine Unterhaltungen am Wasserspender, Firmenveranstaltungen und gelegentliche Begegnungen im Alltag zur wiederkehrenden Herausforderung und zwingen zum Erfinden einer anderen Identität, weil man sonst schwere Folgen für den Arbeitsplatz und die Karriere fürchtet.
Darin bestätigt sich das, worüber sich die beiden Vereine schon seit langem einig sind: Es fehlt weiterhin an Selbstverständlichkeit in Gesellschaft und Unternehmen gegenüber Lebensweisen abseits der heterosexuellen Norm.
Wie Kleinunternehmen helfen können
Auch wenn Sie ein kleineres Unternehmen leiten, haben Sie viele Optionen, um Farbe zu bekennen: Relevante Trainings, eine klare Positionierung und Verwendung von geschlechtergerechter Sprache in der Innen- und Außenkommunikation senden die richtigen Zeichen, und vor allem die „Sichtbarkeit von Rollenvorbildern innerhalb der Firma und bei Stellenanzeigen und das Vorhandensein firmeninterner Netzwerke“ sind laut Patricia Schaller besonders wichtig.
Zeigen Sie sich:
Manfred Knüfken betont, dass „Regelmäßigkeit und eine durchgängige Unterstützung der LGBTIQ+ Community“ unabdingbar sind. Das heißt: Die Präsenz auf öffentlichkeitsstarken Events ist ein bedeutender Schritt, aber es sollte nicht der einzige sein. Wenn Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen mehr Vielfalt begrüßen, muss dies auch nach außen getragen werden. Denn um Notlösungen wie das zuvor erwähnte Alibi-Leben zukünftig zu vermeiden, ist emotionale Sicherheit am Arbeitsplatz unerlässlich.
Mit einer klaren Positionierung beeindrucken Sie nicht nur Ihre Angestellten sondern auch neue Interessent:innen, die sich vorab über Ihr Unternehmen informieren. Eine harmonische und einladende Arbeitsatmosphäre zu schaffen, ist für alle Mitarbeitenden attraktiv und verbessert somit nicht nur Ihr Image, sondern auch die Produktivität. „Ein gutes Arbeitsklima trägt dazu bei, dass die Energie in die tatsächliche Leistung statt in das Aufrechterhalten eines Scheinbildes gesteckt wird“, bestätigt Schaller.
Informieren Sie sich:
Für die Entwicklung hin zu einer offeneren Unternehmenskultur ist der erste Schritt, sich als Führungskraft weiterzubilden und einen empathischen, offenen Führungsstil zu erlernen. Dazu eignen sich selbstverständlich relevante Seminare, Workshops und andere Veranstaltungen. Aber auch ein offener Austausch mit Ihren Angestellten kann Ihnen einen neuen Blick auf bisher unbekannte Themenwelten verschaffen und Ihnen vor allem ein besseres Verständnis davon geben, was Ihre Angestellten sich von Ihnen wünschen und wie Sie diese Erwartungen erfüllen können. Eine nützliche Informationsquelle bietet in diesem Zusammenhang die dreiteilige Filmreihe der Wirtschaftsweiber „Diversity Management in kleinen und mittleren Unternehmen“ zur Situation lesbischer Frauen in der Arbeitswelt. Sie zeigt auf, wie kleine und mittlere Unternehmen von Diversity Management profitieren können und inwieweit gelebte Vielfalt auch für Unternehmen von kleinerer Dimension ein entscheidender Erfolgsfaktor sein kann.
Vernetzen Sie sich:
Ein reger Austausch mit anderen Selbstständigen ist wie zuvor erwähnt unheimlich wertvoll und fördert sowohl den beruflichen Erfolg als auch die private Weiterentwicklung. In der Fachgruppe Kleine Unternehmen des Völklinger Kreises finden sich mittlerweile Unternehmen aus verschiedensten Bereichen wie Architektur oder aus Beratungs- und Handwerksdienstleistungen, die kontinuierlich in Kontakt stehen und ihr Fachwissen miteinander teilen. Sie können Ratschläge erhalten, Geschäftsbeziehungen aufbauen und neues Wissen erlangen.
Auch die Wirtschaftsweiber arbeiten aktiv an einer stärkeren Vernetzung unter den Kleinunternehmen, so zum Beispiel mit dem Treffen Queer in der Werkstatt – eine Veranstaltung der Stuttgarter LSBTTIQ+ Firmennetzwerke. Ziel war es dort, Menschen aus der LGBTIQ+ Community zu vernetzen, die am Fließband oder in der Werkstatt arbeiten, um Erfahrungen auszutauschen. Durch Veranstaltungen wie diese und viele andere Seminare und Trainings haben Sie die Möglichkeit, sich weiterzubilden und Ihre neu gewonnenen Kenntnisse effektiv in Ihren Unternehmensalltag einzubinden.
Besonders im Rückblick auf das vergangene Jahr waren beide Vereine froh, dass sie ihre Inhalte digitalisieren und ihre Veranstaltungen online abhalten konnten, um den Bezug zu den Mitgliedern nicht zu verlieren. Diese positive Entwicklung gibt den Wirtschaftsweibern außerdem den Ansporn, ihr hohes gesellschaftspolitisches Engagement beizubehalten, um zukünftig stärkeren Einfluss in diesem Bereich ausüben zu können. Mit diesem Ziel vor Augen ist für sie „jedes neue Mitglied und jede Veranstaltung mit neuen Besucher:innen ein großer Erfolg“.